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Einmal mit Allem, bitte! Was wir von Start-Up-Gründer Nicolas Wenz lernen können

Eine knappe Stunde lang hat der 29-Jährige aus seinem schon jetzt ziemlich bunten Leben zwischen Provinz und Glamour, zwischen Langzeitstudent und Teilzeitgründer erzählt.
Veröffentlicht am 08.06.2018

karrieregeil - start-up_2.jpg„Oh je!“ Nicolas Wenz ist ausnahmsweise sprachlos. Eine knappe Stunde lang hat der 29-Jährige aus seinem schon jetzt ziemlich bunten Leben zwischen Provinz und Glamour, zwischen Langzeitstudent und Teilzeitgründer erzählt. Doch was ihm der Begriff „Karriere“ bedeute? Er denkt nach, seufzt und sagt dann: „Damit kann ich nichts anfangen.“ Klingt kokett, aber ihm nimmt man das ab. Die Karriere, die so nahelag, hat er schließlich bislang verweigert. Die zweite blieb ihm verwehrt. Und jetzt hat er einfach zu viele Ideen gleichzeitig. „Ich habe große Lust, mein eigenes Ding durchzuziehen“, sagt Nicolas Wenz. Und genau das tut er.

Dabei war sein Weg eigentlich vorhergezeichnet. Aufgewachsen ist Wenz nämlich „hinter der Rezeption“ des Hotels in der Südpfalz, das seinen Eltern gehört. Über seine Begegnungen dort würde er „am liebsten ein Buch schreiben“. Um seine Neugier zu stillen musste er nicht mal das Haus verlassen. Die Welt kam zu ihm. Zugleich bot der elterliche Betrieb eine perfekte Bühne für ein extrovertiertes Kind. Als Teenager mischte Wenz dann schon bei der Weiterentwicklung des eher bodenständigen Hauses mit, das heute auf den Listen diverser Restaurantführer steht.

Zielstrebig nach England

Eine Ausbildung zum Koch lag nahe – für ihn hätte das natürlich „Fernsehkoch“ bedeutet. Nach der Ausbildung und ersten Stationen klopfte er auch gleich ganz oben an: beim „Fat Duck“. Anfang der 2000er-Jahre galt der westlich von London gelegene Betrieb von Chefkoch Heston Blumenthal als der Gourmettempel schlechthin, wurde 2005 vom Restaurant Magazine gar zum „besten Restaurant der Welt“ gekürt und ist bis heute kompromisslos auf der Suche nach dem perfekten Geschmack. Weil Wenz im ersten Anlauf keine Chance hatte, nahm er einen Job in einem Hotel in der Nähe an. Und weil sein Zimmerpartner dort zufällig einer der Sommeliers des „Fat Duck“ war und ein Treffen mit dem Chef arrangierte, erfüllte sich der Traum, der für Wenz nicht nur geschmacklich eine Offenbarung war. „Die Leute dort waren super smart und super leidenschaftlich. Genau das vermisse ich heute am meisten: Menschen, die wirklich etwas erreichen wollen.“

Ab an den Bodensee

Der Sturz war umso tiefer: Auf dem Fahrrad wurde Nicolas Wenz von einem Auto angefahren. Ein schwerer Schaden im rechten Knie war die Folge, monatelang konnte er nicht auftreten – undenkbar für einen Koch. Doch Wenz rappelte sich schnell auf und wählte das Kontrastprogramm: ein Hotelmanagement-Studium in Heidelberg – vollkommen vernünftig und „stinklangweilig“. Die Eltern freuten sich schon auf die Rückkehr des Sohnes – doch der bog in die genau entgegengesetzte Richtung ab. Eine Mitbewohnerin hatte ihm von dieser Uni am Bodensee erzählt, die genau das böte, was er doch wolle: so viel von Allem wie möglich. Er bewarb sich, eher zum Spaß, und begann 2013 sein Studium an der Zeppelin Universität: Soziologie, Wirtschafts- und Politikwissenschaften. „Meine Eltern sind natürlich komplett ausgeflippt“, erzählt Nicolas Wenz und lacht aus vollem Hals. Weil sie auch nach zwei Jahren noch keine Ahnung hatten, was ihr Sohn eigentlich trieb, bastelte er für sie eine Powerpoint-Präsentation. Und zumindest eins war jetzt klar: Ein Taugenichts war der Junge nicht – eher ein Tausendsassa.

Denn Wenz hatte ja noch diese Schnapsidee mit nach Friedrichshafen gebracht: eine besondere Spirituose. Jahre zuvor hatte ihm ein Bekannter bei einem Besuch in Hongkong ein Eis mit Parákresse serviert, einer brasilianischen Pflanze, die in Europa so gut wie unbekannt ist. Fasziniert vom Geschmack, begann er nach der Rückkehr, den heimischen Garten umzugraben und zu experimentieren. Seine Mission: auf dem Höhepunkt des Spirituosenhypes ein völlig neues Geschmackserlebnis kreieren. Am Ende entstand ein Destillat aus Parákresse und schwarzem Tee, das in der Tat elektrisierend anders schmeckt: im ersten Moment noch harmlos süß, dann plötzlich salzig, ehe sich im Nachgang ein betäubendes Gefühl breitmacht, das erklärt, weshalb die Parákresse auch als „Zahnweh-Pflanze“ bekannt ist.

Wie für viele Erfinder zählte für Wenz anfangs nur die Qualität des Produkts: Jede einzelne Blüte wurde mit Hilfe der Azubis in der Hotelküche abgefüllt, jede einzelne Flasche polierte und beschriftete er per Hand. Auch darüber kann er heute lachen: „Ich bin ein wahnsinnig schlechter Ökonom!“ Nachdem ihn zwei Kommilitonen beim Marketing unterstützten, nahm die in „Faradaí“ umgetaufte Spirituose – eine Hommage an den Elektrizitätspionier Michael Faraday – Fahrt auf. Man richtete ein Büro in Friedrichshafen ein, besuchte Messen, Händler und vor allem angesagte Bartender.

Steigender Absatz ohne Werbung

Ein Nischenprodukt werde der Faradaí immer bleiben, vermutet Wenz, aber die Dynamik überrascht ihn schon: „Ich verkaufe immer mehr Flaschen, obwohl ich keine Werbung mache.“ Und obwohl der Freigeist im Moment gar keine Zeit hat. Gerade hat er seine Bachelorarbeit abgegeben – eine Feldstudie in Berliner Bohème-Kreisen. Im Sommer, wenn er die Eltern als Hotelchef vertritt, will er über der Küchenanrichte eine Kamera installieren, damit Gäste bereits im Internet sehen können, was sie erwartet. Und dann muss ja noch der Studienkredit abbezahlt werden. Ein, zwei Jahre will er sich dafür in einer Agentur fest anstellen lassen, länger auf keinen Fall. Es gibt so viel anderes zu tun.

 

[JENS POGGENPOHL]