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Wechseln wird alltäglich

Fluide Unternehmen und Caring Companies prägen zukünftig den Arbeitsmarkt.
Veröffentlicht am 07.06.2016

Fluide Unternehmen und Caring Companies prägen zukünftig den Arbeitsmarkt.

Der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky meint, dass sich Unternehmen zukünftig bei der Mitarbeiterplanung zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Strategien entscheiden müssen.

In ihrem Buch „Das Recruiting Dilemma“ warnen Sie Unternehmen vor einer Katastrophe, sollten ihre Personalpolitik nicht revidieren. Wieso?

Die Prognosen sind eindeutig: Der deutsche Arbeitsmarkt verliert in den kommenden zehn Jahren 6,5 Millionen Arbeitskräfte, weil die vielen Babyboomer in Rente gehen und nur die geburtenschwachen Jahrgänge nachrutschen. In der Summe ergibt das über die kommenden Jahre dauerhaft eine nicht zu füllende Lücke an fehlenden Arbeitskräften. Die optimistischen Studien sagen eine Lücke von 2 Millionen voraus, die Pessimisten gehen von 5,2 Millionen aus. Was geschieht dann? Dann geht nach unserer Prognose die heute übliche „Anstellung auf Lebenszeit“ auf etwa 30-40 Prozent der Gesamtarbeitnehmer zurück. Auf der anderen Seite entstehen etwa 30 – 40 Prozent so genannte Projektarbeiter. Diese sorgen für einen tief greifenden Wandel der Arbeitswelt. Denn die lassen sich nicht auf Lebenszeit anstellen, sondern nur für ein Projekt; also für maximal 2-3 Jahre. Danach wechseln die Projektarbeiter zumeist wieder das Unternehmen. Für die Unternehmen wird das eine schwierige Situation. Überlegen Sie nur was es kostet, alle drei Jahre etwa 40 Prozent der besten Mitarbeiter in einem leergefegten Arbeitsmarkt neu zu suchen zu!

Sie sprechen von „Fluiden Unternehmen“ und der „Caring Company“. Was verstehen sie darunter, was unterscheidet die beide?

Den Unternehmen in allen Branchen droht das, was wir im vergangenen Jahr schon einmal bei einem Stellwerk der Deutschen Bahn in Mainz gesehen haben. Dort haben über drei Wochen die Spezialisten gefehlt. Was war die Folge? Die Züge fuhren an Mainz vorbei. Das Produkt wurde also nicht produziert. Genau das droht in allen Branchen. Wer sich als Unternehmen darauf nicht vorbereitet, für den droht tatsächlich eine Katastrophe. Sie werden sich also für eine von zwei grundlegenden Strategien entscheiden müssen. Entweder werden sie zu einem „Fluiden Unternehmen“ oder zu einer „Caring Company“. Ich habe diese beiden Strategien in meinem Buch am Beispiel von zwei Personalleitern des Jahres 2025 beschrieben. Beide leben in unterschiedlichen Welten: Melanie Polenz ist Personalchefin im Mittelstand; Thomas Krüger bei einem Konzern. Beide gehen ganz unterschiedliche Wege, dem Fachkräftemangel zu begegnen und ihren Mitarbeiterbedarf zu sichern. Fluide Unternehmen werden sehr professionell im „Anziehen“ und „Abstoßen von Projektarbeitern. Ihr Ziel ist nicht mehr, die Mitarbeiter zu binden, sondern sie in das lebenslange, persönliche Netzwerk der Führungskräfte aufzunehmen, um immer wieder die Möglichkeit zu haben, den Projektarbeiter für ein Projekt zurück zu holen. Die Caring Companies dagegen werden Bindungen nicht zum Mitarbeiter sondern in sein soziales Umfeld aufbauen. Hier werden in meinem Buch unternehmenseigene Pflegedienste für die Eltern der Mitarbeiter, unternehmenseigenen Schulen für die Kinder der Mitarbeiter und viele andere Maßnahmen eines Corporate Life beschrieben.

Sie beschreiben ein goldenes Zeitalter für die Mitarbeiter von Unternehmen angesichts der Entwicklung des Arbeitsmarktes – aber mit kritischem Unterton.

Für die Mitarbeiter ist das erst einmal ein Paradies. Sie bekommen mehr Macht und mehr Geld. Oder um es einfach zu sagen: Wir werden erleben, dass bei ordentlich ausgebildeten Mitarbeitern jede Woche zweimal der Headhunter mit neuen, besseren Jobangeboten klingelt. Der Wermutstropfen kommt bei der Frage ins Spiel, ob wir als Mitarbeiter Zufriedenheit bei unserer Arbeit spüren. Das wird zum Problem. Denn der ständige Mangel an guten Mitarbeitern führt dazu, dass immer mehr minder qualifizierte Mitarbeiter auf höher qualifizierte Stellen gesteckt werden. Sie werden sich Mühe geben und viel Geld verdienen. Aber sie werden auch permanent das Gefühl haben, dass sie die hohen Anforderungen nur unzureichend erfüllen. Das kann auf Dauer unglücklich machen.

Wie finden Firmen zukünftig ihre Mitarbeiter?

Ich gehe davon aus, dass es einige der zentralen Glaubensregeln heutiger HR-Abteilungen dann nicht mehr geben wird, etwa Stellenprofile, Employer Branding oder Business- Partner-Strategien. Ich versuche die Leser des Buches mitfühlen zu lassen, warum im Jahr 2025 die besten Mitarbeiter gekündigt werden müssen, wie eine Employee Value Proposition entsteht, wie das Corporate Life funktioniert, warum Personaler zu Datenanalysten werden, wie Senior-Trainee- und Unlearn- Programme entstehen, wie Personaler zu Inhouse-Headhuntern und Personalberater zu 360 Grad- Managern werden, warum Menschen bis 80 arbeiten wollen, wie Career Transition Strategien entstehen, warum Sie betriebseigenen Schulen gründen werden und eigene Mitarbeiter an die Konkurrenz verleihen, warum der Chief Change Officer den Personalchef ersetzen wird... und welche Strategiewege sich für Personaler ergeben.

Fragen: Michael Schnurr